Dr. Petra Schwarz
Einführung in die Ausstellung ‚Links / Rechts‘ von Jörg Eberhard (April 2013)
Wie individuelles Gegenstandsrepertoire im Bild zusammen findet
Am 11. April 2013 veröffentlichte die Wochenzeitung Die Zeit in der Rubrik Grafik eine Darstellung zum Thema: ‚Wie die Stühle sitzen lernten‘ und stellt dabei die Entwicklung des Bürostuhls vom Prototyp aus dem Jahr 1849 zum Designobjekt im Jahr 1994 dar. Die von Wissenschaftlern ermittelten durchschnittlich fünfeinhalb Stunden, die wir am Tag auf einem Bürostuhl sitzend zubringen, spornten Hersteller dazu an, die Körperhaltung im Stuhl so angenehm wie möglich zu machen. Sie ist Voraussetzung für Schreiben, Zeichnen, Denken, kreativ Sein, Tagträumen. Bei der Ermittlung der fünfeinhalb Stunden wurde aber nur die Zeit, die man auf dem Bürostuhl sitzt, berücksichtigt, und nicht die täglich auf einem Stuhl verbrachte Lebenszeit in Augenschein genommen. Auch die Vielfalt der Tätigkeiten, denen die Sitzenden nachgehen, spielt keine Rolle. Die Abbildung von Prototyp und Designobjekt hingegen als Paar mit scharfer Umrisslinie, herausgelöst aus einer wie auch immer gestalteten Umgebung, rückt ins Blickfeld. Sie verführt uns zur Anerkennung der schönen Form, zur Deutung einer fast familiären Bindung zwischen Prototyp und Designobjekt wie zwischen Großmutter und Ur-Ur- Urenkel. Ganz zu schweigen von den Dimensionen, die erst aufgehen, wenn wir anfangen über das zu spekulieren, was sich alles beim Sitzen auf ihnen zugetragen hat oder noch ereignen kann – sei es auch nur imaginär. In diesem Sinn möchte ich Sie nun einladen, auf dem einen oder anderen Stuhl in Jörg Eberhardts großformatiger Arbeit mit dem Titel: „Links / Rechts“ Platz zu nehmen und sich auf diese Weise in die Vielschichtigkeit des Werks hineinzubegeben.
Die 3,10 x 7,45 m große Acrylarbeit auf Papier ist in 30 Rahmen gehängt, drei Reihen mit jeweils 10 Rahmen. Sie erzeugt schon allein aufgrund von Format und Farbgebung eine eindrucksvolle Wirkung. Auffällig ist zunächst die Vielfalt der für Jörg Eberhards Malerei typischen, umrisshaft zur Silhouette verdichteten Form: die mehr oder weniger bequem erscheinende Sitzgelegenheit. Aber auch die unbedingt zu seinem Gegenstandsrepertoire zählenden Lampen, Vasen und Kelche sind zu sehen, dokumentiert an zentraler Stelle, links der Mitte, durch die Kamera auf Stativ, welche auch nicht fehlen darf. Vereinzelt finden wir schablonenhafte Versatzstücke aus der Natur: die Blumen in der Vase links und die schwarze Fliege oberhalb der Kamera.
Das Insekt, der das Kamerastativ überschneidende Kelch und das Handy rechts der Mitte stellen die drei Dinge im Bild dar, die ausschließlich schwarz gestaltet sind, sozusagen eine Trias aus Naturverweis, Kulturüberformung im Sakralgefäß und Kommunikationsmittel. Auffallend ist, dass das moderne Kommunikationsmittel, das Handy, schräg, quasi kursiv gesetzt, den rechten Punkt eines Dreiecks bestimmt, dass sich in der Mitte der Arbeit aufspannt. Gleichsam als in Bewegung gebrachte Silhouette vermittelt das Handy zwischen dem linken und dem rechten Teil der Arbeit, eine Unterteilung, die uns schon der Titel: „Links / Rechts“ vorgibt.
Bei genauerer Betrachtung der beiden Teile der großformatigen Arbeit fällt auf, dass auf der rechten Seite die Formen verzerrt, verschoben, in Bewegung dargestellt sind, Naturelemente und Farbigkeit zurücktreten und unsere Sitzgelegenheiten gar nicht mehr zum Hinsetzten geeignet scheinen. Die in rotbraunen Tönen gestalteten Stühle geraten in eine Kreisbewegung, die eigentlich unmittelbar – beim ersten Sehen aber fast unbemerkt – direkt an der Schnittkannte zum rechten Teil beginnt: Sessellehne, Handy und Stuhlbein werden vom Sog der Kreisbewegung bereits erfasst. Der Grund dafür, dass die Dynamisierung an dieser Stelle nicht sofort in den Blick gerät, liegt in der Halt gebenden, orthogonalen Struktur. Die Arbeit wird durch eine Vielzahl von quadratischen und rechteckigen Farbflächen zusammengehalten, die durch die Beimischung von Weiß fast pastellartig wirken und im linken Teil schön mit dem bunten Grau der Stuhlsilhouetten kontrastieren.
Auch in dem großen, den rechten Teil domminierenden blauen Kubus wird die orthogonale Struktur aufgenommen: wir sehen einen Kasten im Kasten im Kasten. Die als helle Silhouetten auf dunklen Grund projizierten Vasen und Gefäße dominieren auf den Innen- und Außenseiten und repräsentieren eine kulturhistorisch überlieferte Formensprache, die einen langen Zeitraum überdauert hat, aber noch heute verständlich ist. Auf den Projektionsprozess wird mit der Leinwand auf der linken Außenwand eines der inneren Kästen explizit verwiesen. Grundsätzlich ermöglicht die klare Formensprache der Silhouette das Verstehen des Projizierten. So erweitert an der rechten Innenseite die Schablone eines jungen Mädchens bzw. ihre Verwandlung in eine vegetative Form die Auswahl aus dem Gegenstands-Repertoire und erinnert an antike Dichtkunst: die Metamorphosen des Ovid.
Im Innern des dreidimensional gestalteten Körpers findet eine Dynamisierung statt, die die starke Kompaktheit der Form aufzulösen beginnt. Eng umgrenzt und in den Kasten eingeschlossen wird die Struktur der Bewegung in Form von konzentrischen Kreisen sichtbar, die letztendlich um den gleichen Mittelpunkt drehen, wie die in rotbraunen Tönen gestalteten Stühle. Im Zentrum stehen zwei Handys, die miteinander kommunizierend imstande sind, die unterschiedlichen Lebens- und Gegenstandsbereiche miteinander zu verknüpfen, auch wenn gleichzeitig die Ordnung der Kästen aus den Fugen zu geraten droht. Hinzu kommt, dass der innere Kubus aus der Drehbewegung herauskippt. Ein komplexer Auflösungsprozess nimmt Gestalt an, dessen Auswirkungen ungewiss bleiben.
Ich möchte Sie nun einladen, Ihren eigenen Sehbewegungen zu folgen und Ihre Aufmerksamkeit zuletzt noch einmal auf die Schnittkante zwischen den beiden Teilen der Arbeit „Links / Rechts“ zu lenken. Hier beginnt in Lesrichtung der Wechsel zwischen ruhiger, geordneter und verzerrter, in Bewegung geratender Formensprache: Sessellehne, Handy und Stuhlbein werden vom Sog der im Mittelpunkt des Kubus entstehenden Kreisbewegung bereits erfasst. Auch sollten Sie es nicht versäumen, Ihr Augenmerk auf die maltechnische Seite des Kunstwerks zu lenken. Hier wird die Werkentstehung konkret erfahrbar in Pinselstrich, Farb- und Formüberschneidung. Ohne die Verwendung jedweder Schablone malt Jörg Eberhard die Silhouetten aus der Hand, zerschneidet mitunter bereits fertig gestellte Papiere und kombiniert sie einzelne Partien übermalend neu. Auch für ihn sind diese z.T. große Zeitabstände überbrückenden Kompositionen überraschend stimmig.
Lassen Sie sich nun in den Bann dieser großartigen Arbeit mit dem Titel ‚Links / Rechts‘ des Düsseldorfer Malers Jörg Eberhard ziehen.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Betrachten der Ausstellung.