Tonio Paßlick
Schwierige Einfachheit

Eröffnungsrede in der Galerie Stahlberger, Weil am Rhein 2016


Liebe Freunde der Galerie Stahlberger,


dieser Titel „schwierige Einfachheit“ wird Sie schon häufiger als unterschwelliges Gefühl beim Betrachten der Ausstellungen vieler Informel-Künstler in dieser Galerie begleitet haben. Schwierig zu verstehen? Einfachheit der Darstellung komplexer Zusammenhänge? Oder der eher grundsätzliche Hinweis, was für eine Herausforderung es ist, Schwieriges in einfache Gefäße zu fassen, schlicht und verständlich zu vermitteln? Was kann gemeint sein? Werden wir Antworten auf diese Frage bekommen?

Zunächst die vordergründigen Fakten: mit Jörg Eberhard, dem Professor Professor für Experimentelle Gestaltung am Institut für Kunst und Kunstwissenschaft der Universität Duisburg-Essen steht ein langjähriger Freund der Galerie neben mir. Vier Einzelausstellungen, dann Beteiligungen an Gruppenausstellungen wie die legendäre Ausstellung über lemniskatische Prozesse. Die Galerie präsentiert hier Arbeiten mit Acryl und Eitempera auf Leinwand und Nessel und kleinere Aquarelle.

Ganz kurz ein paar Fakten aus seiner Biografie: Der in diesem Jahr 60 Jahre jung gewordene Jörg Eberhard (*1956) studierte von 1975 - 82 an der Kunstakademie Düsseldorf Malerei bei Karl Otto Götz und Alfonso Hüppi und Kunstgeschichte bei Walter J. Hofmann und Werner Spies. Übrigens: Der Jahrhundertkünstler Götz wie ihn die Zeitschrift art titulierte, wurde in diesem Jahr 102 Jahre alt. Götz ist ein Hauptvertreter der abstrakten Kunst und des Informel in Deutschland und ein Lyriker des Surrealismus. Das zum Thema Orientierung. Denn Jörg Eberhard hatte zeitlebens den ungemein sympathischen Wesenszug, mit grenzenloser Offenheit auf neue Lebenssituationen zuzugehen. Einen Beleg finden sie in dem sehr persönlichen Interview, das er Peter O. Chotjewitz über Kindheit, Jugend und Studium gegeben hat – es ist auf seiner Homepage zu finden. Also gut: Eberhard erhielt mehrere Preise und Stipendien, so 1984 das Max-Ernst-Stipendium und 1989 den Villa-Romana-Preis. 1992 genoss er das Gastatelier in der Villa Romana in Florenz. 1991 - 94 hatte er einen Lehrauftrag an der Kunstakademie Düsseldorf und 2001 einen Lehrauftrag an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Von 2002 - 2007 war er Professor an der Universität Duisburg-Essen, von 2008 bis 2012 Professor an der Folkwang Hochschule, seit 2012 Professor an der Universität Duisburg-Essen.

Zurück zur Ausstellung. Wir befassen uns bei der ersten Wahrnehmung zunächst mit erkennbaren Objekten, dominant sind die Umrisse von Amphoren, oft schattenrisshaft flächig dargestellt. Dann Objekte des täglichen Lebens, Kristall-Leuchter, eine Wagenfeld-Lampe, Zangen, Handys, Möbel – zeichenhaft emblematisch und malerisch einfach flächig umrissen; geometrische ungegenständliche Formen wie Kuben, Quadrate, Kreise, Rechtecke, Balken, Gitter- und Rautenmuster. Und Formen im Bildgrund, die an architektonische Zitate erinnern, sich auflösen in regelmäßige Konturen und dann wieder in wellenförmige konzentrisch ausbreitende Wellen.

Kennen Sie noch die Rebus-Rätsel? Beim Rebus-Prinzip standen Objekte zwar nur für Silben oder Wörter, aber sie haben die Lust am rätselhaften Bild geweckt. Viel tiefer gerät die Wirkung in den Bildern von Jörg Eberhard. Die Dinge stehen in ihrer „Einfachheit“ für Erfahrungswelten, die in den jeweils individuellen Zusammenhang der Kulissen gerückt werden, die der Betrachter mitbringt. Vasen stehen bekanntlich bildlich für menschliche Körper. In der Kunstgeschichte finden wir in einfachen Bildern zumeist komplexe Reflektionswelten. Archaische wie moderne Zeichen werden gleichermaßen von ihm zitiert. Jörg Eberhard war in seiner Zeit in Florenz umgeben von den schönen Formen der Früh-Renaissance und hat besonders die Umrisse der antiken Amphoren ins Herz geschlossen. Wie geht er mit solchen spannend empfundenen Formen um?

Ich zitiere einige seiner Antworten dazu: „Die Bilder fußen auf einem vorgestellten leeren Raum, der sich aus der Bildfläche entwickelt. Alles ist räumlich gedacht, aber nicht körperlich/plastisch. Der Raum des Bildes wird Stück für Stück mit Flächen und scherenschnittartigen Gegenständen ausgestattet. Es entsteht eine Komposition in der Fläche und im Raum. Die Dinge im Raum sind immer dem Licht und dem Schatten ausgesetzt. Dadurch gibt es gemalte Farben, die Farben im Licht und im Schatten darstellen. Mein malerischer Vortrag besteht vor allem aus einfachem Anstreichen der vorgezeichneten Formen; ich versuche »Peinture« zu vermeiden. Die Dinge in meinen Bildern fungieren als »Worte«, aus denen »Sätze«, aus denen »Texte« gebildet werden können.

Und ein andermal: „Ich bearbeite eine Fläche, auf der ich vielleicht einen Raum darstelle, in dem vielleicht Dinge und (bei mir sehr selten) Menschen sind, die vielleicht farbig oder nicht farbig, flächig oder gestisch, mechanisch oder emphatisch dargestellt werden….“

Und wie schafft er es technisch, Umrisse plastisch und exakt und Perspektiven sicher auf die Leinwand zu bringen? Bei einer Ausstellung in seinem Ort der Kindheit antwortete er auf diese Frage so: „Die meisten Dinge habe ich abgezeichnet oder fotografiert. Dann zeichne ich sie auf durchsichtige Folien und werfe sie mit dem Projektor auf die Leinwand um sie zu malen. Einen Ordner habe ich nicht, sondern einfach einen Umschlag in die ich die Folien hineinstecke. Es sind zwar sehr viele, aber bei der Arbeit finde ich schon die richtigen.

Und wie sieht es aus mit der Komposition der Dinge? Seine Bildelemente bewegen sich scheinbar frei im Raum, oft ohne Bezug zu den Hintergründen. Unsere Raumvorstellungen, unsere Imagination, die mit dem gewohnten Umfeld von Dingen vergleicht, wird dabei immer wieder herausgefordert. Jedes Motiv steht für sich, nichts wird miteinander vermengt und verschmolzen. Die Dinge (oder Objekte) werden aus ihrem funktionalen Zusammenhang herausgerissen und erhalten in Eberhards Bildwelten eine erratische, geheimnisvolle – ja letztlich eigene Aura. Walter Benjamin hat das, was das Kunstwerk vor den technisch reproduzierten Bildern auszeichnet, als Aura bezeichnet. Aura kann etwas haben, was optische Wirklichkeit nicht nur bestätigt, sondern überschreitet.

Thomas Brandt hat in seiner wunderschönen Anthologie „Das Gedächtnis der Dinge – eine Geschichtensammlung“ dazu zwei Sätze geschrieben, die sich auf Jörg Eberhards Arbeiten beziehen und die ich sehr gerne zitiere. Er schreibt: „Eine schwebende Spannung breitet sich aus, die von einer Erfahrungswelt jenseits der Bedingungen unserer Alltagswirklichkeit kündet, die zeigt, wie labil und hypothetisch, d. h. eben bildhaft, unser Wissen um die Zusammenhänge unserer Existenz sind. „Welt“ ist auf keinen Fall etwas Festes, Solides und Unabänderliches. Nur der wird ihr gerecht, der akzeptiert, dass es die Struktur unseres Erkenntnisvermögens ist, die die Konturen unserer Wirklichkeitssicht bestimmt…“

Jörg Eberhard zeigt Bilder, die zumeist in den letzten 16 Jahren entstanden sind, manche erst vor kurzem fertig gestellt. Das heißt aber nicht, dass sie jüngeren Datums sind. Denn viele Bilder hatten einen jahrelangen Gestaltungsprozess hinter sich – bis sie für den Künstler „gestimmt“ haben, wie wir heute salopp formulieren würden.

Es geht in seinem Werk häufig um malerische Entscheidungen, wenn ein Bild weiter entwickelt wird. Aber nicht nur. Es macht deshalb keinen Sinn, eine Methodik oder eine Regie entschlüsseln zu wollen. Zuweilen entpuppt sich das vermeintlich Dargestellte als Illusion und will nachgerade von unserer eigenen Wahrnehmung entdeckt werden. Sich darauf einzulassen, bereitet ungemein viel Vergnügen.

Flächen und Perspektiven scheinen uns einen Raum anzubieten, der bei genauerer Betrachtung wieder gekippt oder mit anderen geometrischen Formen verschmolzen wird. Was flächig wirkt, könnte auch räumliche Vorstellungen suggerieren. Und darüber spielen die identifizierbaren Dinge in fast spielerischer Unabhängigkeit den Verführer, der uns in die imaginären Bildwelten hineinzieht.

Wir verändern immer wieder unseren Blickwinkel und letztlich dadurch unsere Wahrnehmung. Was einfach wirkt, entpuppt sich letztlich schwierig in Zusammenhang zu bringen. Genau darauf ist aber unser Hirn konditioniert. Das ist ein uralter Überlebenstrieb. Erkennen, verstehen, einordnen.

Wir wollen uns ein Bild machen können. In einzelnen Motiven und Motivzusammenhängen verweist der Maler auf die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der Wahrnehmung und damit menschlichen Erkenntnis. Die Malerei schafft eigene Wirklichkeiten. Und genau die könnten die Einladung an unsere Sehnsucht zu sein, in Raum und Zeit eigene Koordinaten zu entdecken. Dabei spart Jörg Eberhard durchaus nicht mit Zitaten. Er nennt sich einen konservativen Maler – in dem Sinn, der die Entdeckung zeitloser Zitate konservieren – bewahren möchte. „Er denkt nach über das Verhältnis der Dinge zueinander, weniger über die Dinge als Erscheinungen, nicht über ihr Wesen. Sein Bestreben ist, die Dinge sein zu lassen.“ Sagte sein Lehrer Peter Kleemann in Düsseldorf einmal. Und Jörg Eberhard lässt auch die Titel der Bilder wie ein zusätzliches „Ding“ in die Wahrnehmung der Malerei einfließen. Sie lassen zuweilen Rückschlüsse auf Assoziationen während der Entstehung der Werke zu. Humorvoll und mit epigrammatischer Schärfe eröffnen die Begriffe im Kontext der Bildbetrachtung weitere Ebenen der Wahrnehmung.

Eine Reihe weiterer Fragen habe ich noch gar nicht beleuchtet. Die Bedeutung der Schlüssel in seinen jüngeren Werken. Obwohl die Werke im hinteren Raum zwar keine „Schlüssel-Werke“, aber doch aufschlussreich sind. Er hatte beim Aufräumen einen zerbrochenen Schlüssel mit einer schönen antiken ornamentierten Reide gefunden. Und entdeckte im gleichen Augenblick diesen Fund als Motiv. Ich habe auch nicht vertieft, weshalb hinter den Schlüsseln in seinen jüngeren Werken drei Menschen-Umrisse gedoppelt auftauchen. Ich sollte aber erwähnen, wie wunderschön und raffiniert die Blickperspektiven durch diese drei Räume sind, die Sie erst richtig erfassen können, wenn Sie noch einmal kommen. Der Blick auf die beiden Kristall-Leuchter im hintersten und vordersten Raum. Die Variationen und Reihungen. Herrlich. Ein Verdienst, der der Galeristin Ria Stahlberger zukommt, wie mir Jörg Eberhard gestern versicherte. Viele Fragen bleiben.

(Abschließend eine Frage zur Motivauswahl der „Dinge“ und eine Würdigung der über 30jährigen künstlerischen Ausstrahlung der Galerie Stahlberger).

Alle weiteren Fragen – das ist das schöne heute, können Sie dem Künstler selber stellen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche der Ausstellung eine gute Resonanz und viel Erfolg.


Tonio Paßlick

23.9.16