Christian Deckert
Seien Sie herzlich willkommen zur Eröffnung der Ausstellung Jörg Eberhard „Lichtfeld“!
Jörg Eberhard, der begeistert die Erkundungen des perspektivischen Raumes der Renaissancekünstler nachvollzogen hat, wies mich auf die Konstruktionszeichnungen diverser Bilder aus dieser Zeit hin, die a fresco, also in den frischen Putz geritzt worden sind. Seitlich gesehen, heben sich diese Vorarbeiten für die Durchführung des eigentlichen Gemäldes deutlich von der Wandfläche ab. Für den Betrachter offensichtlich werden sie als Orientierungslinien zum Erzeugen der Illusion des perspektivischen Raumes benötigt. Eberhard weist darauf hin, dass sie auch eine Gliederung in sich darstellen, eine Organisation der Flächen, die den Bildern ihre Gestalt verleiht und legt nahe, dass die ganz und gar konsequente Durchführung der Perspektivkonstruktion bisweilen zugunsten dieser Flächengestaltung geopfert wurde.
Einem solchen etwas ketzerischen Gedanken nachgehend, bewegt man sich bereits ein gutes Stück auf Jörg Eberhards Bildkonstruktionen zu, die mir zunächst immer sehr geordnet vorkommen. Alles scheint seinen Platz zu haben und sich an der richtigen Stelle zu befinden.
Sich seinen Bildern näher anvertrauend, stellt man mit Verwunderung fest, dass nach einer Weile alles ins Wanken gerät: Warum sind seine Gegenstände flächig gemalt und befinden sich doch offensichtlich in räumlichen Zusammenhängen? Sind es konstruierte oder dekonstruierte Räume?
Sind die gezeigten Gegenstände Zeichen, Symbole oder wohnt ihnen die Kraft der Präsenz realer Dinge inne?
Erinnern wir uns an seine Bilder, erscheinen sie uns eben und gleichzeitig dreidimensional zu sein.
Die Zeit, das Zeitliche, oder wie immer man das nennen mag, spielt nicht nur motivisch eine wichtige Rolle in Form von Uhren, Ziffern und digitalen Anzeigen. Beim notieren der Bilderliste fielen mir die Entstehungsdaten einiger Werke ins Auge:
vier Würfel 2004-17, Fünf Stühle und ihre Räume 2011-14, Gelb, Grau, Orange: China 2002-16.
Da verwendet jemand also auch mal ein halbes oder ganzes Jahrzehnt zur Fertigstellung eines Bildes. Das allein ist ein ungewöhnlicher Vorgang.
Wenn man mit Jörg Eberhard über seine Gemälde spricht, mäandert man stets an Erkenntnislinien entlang, was sowohl die Bildgestaltung als auch den Inhalt anbelangt. Anders als die Künstler der Renaissance gedenkt er nicht, uns eine Perspektive vorzuschreiben. Zu der Schichtung der Farbe und den verschiedenen Aspekte des jeweiligen Themas gesellen sich Gegenstände, die aus unterschiedlichen Epochen stammen.
Vordergründig halten die gemalten Dinge Kontakt zur sichtbaren Welt, anscheinend um nicht der potentiellen Unverbindlichkeit der Abstraktion anheimzufallen. Es sind aber auch Befragungen der Gegenstände: Löst der Umriss einer griechischen Amphore eine kulturgeschichtliche Assoziation aus? Wie verhält sich ihr gegenüber ein gemaltes Handy?
Reichen urmenschliche Gefäßformen aus, um uns an unsere Vergangenheit rückzubinden?
Rückbindung – die Übersetzung des Wortes Religio aus dem Lateinischen führt uns in ein weiteres Zentrum seiner Arbeit. Wer ist heute noch konservativ? Formen, Regeln und Tradiertes bewahrend - politisch gesehen sicherlich niemand mehr. Etwas beschämt hat man vor ein paar Jahren das Wort wertekonservativ eingeführt, um sich von den Konservativen, die letztlich doch nur die Autoindustrie im Kopf haben, abzugrenzen. Auf der politischen Bühne eine nicht mehr wahrnehmbare Erscheinung. Hat es vielleicht auch nie gegeben. Konservierend im Sinne von haltbar machend hat im Ressort der bildenden Kunst einen schlechten Beigeschmack. Wir wollen Avantgarde sein, die Voranschreitenden!
Jörg Eberhard erinnert uns an den Aspekt der Rückbindung. Man könnte auch sagen: er liebt es, Verbindungen zu schaffen, verbindlich zu sein. Denkt man mit ihm über Kunst nach, so wandert man ganz selbstverständlich in den religiösen Raum, der ihm zugleich kultureller und geistiger Bewegungsrahmen ist und dann wieder zurück in die Moderne und die Nach- und die Nachnachmoderne. Alte Formen sind nicht zwangsläufig abgelebte Formen.
An dieser Stelle nochmals zwei Bildtitel:
Bild mit bewahrenswerten Dingen I von 2018
Das ist das Gemälde, dessen Abbildung sich auf der Innenseite des Faltblattes befindet und
Immernoch 18. Jahrhundert
Die Bilder mit den Reliquiaren, die so wunderbar hinten an die große Wand vom Maxhaus passen, hat der Künstler übrigens nicht extra für diese Ausstellung gemalt.
Es hat sich ganz gut so gefügt, denn ich kannte die Bilder auch noch nicht, als ich den Künstler zu dieser Ausstellung eingeladen habe. Es sind schöne Meditationen zum Thema Zeit und Erinnern.
Der Begriff Zeit beinhaltet bei Eberhard auch immer die Erfahrung, wieviel von dem Vergangenen noch da ist. Es geht nicht nur um das Bewahren von Gelebtem, sondern auch um die Erkenntnis, dass in irgendeiner Weise alles Gewesene auch noch als Energieform erhalten ist und dass uns die Gegenstände verschiedener Epochen daran erinnern. Anders als bei dem bühnenhaften Geschichts-Brimborium Neo Rauchs fügt Eberhard seine Bilder zu lichten Feldern zusammen.
Lichtfeld ist die mathematische Bezeichnung eines Raumes, der zu den in ihm befindlichen Punkten eine Information enthält, in welche Richtung jeder einzelne Punkt strahlen könnte.
In der Computergrafik wird ein Lichtfeld benutzt, um im 3D-Raum virtuell um ein Objekt herumwandern und es von allen Seiten betrachten zu können.
Auch in Jörg Eberhards Bildern gehen wir um die Dinge herum, um sie in ihren vielen Aspekten auf uns wirken zu lassen. Er entkleidet sie, indem er ihnen oft nur die Silhouette läßt. Genau das öffnet unseren Geist, um über ihre Geschichte - und unsere eigene - nachdenken zu können.